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Originallink: http://www.pinselpark.org/philosophie/e/erasmus/torheit/torheit_01.html


 

Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (3)

Immerhin wollen wir den ganzen Sachverhalt im einzelnen nachweisen. Jedermann weiß, daß die Kindheit dem Menschen das fröhlichste und lieblichste Alter ist. Was hätscheln, liebkosen und pflegen wir an den Kindern denn so, daß sogar der Feind diesem Alter hilfreich zur Seite steht? Doch nur die verführerische Macht der Torheit! Wohlbedacht legte die Natur den Neugeborenen diese in die Wiege, damit sie durch das Handgeld des Vergnügens die Mühen der Erzieher versüßen und sich die Gunst der Pfleger erschmeicheln. Wie beliebt ist dann bei allen erst die Jugendzeit, wie ausnehmend gewogen sind ihr alle, wie eifrig bilden alle sie und wie pfleglich reichen sie ihr die hilfreichen Hände? Woher rührt denn nun dieser Glanz der Jugend? Woher anders als von mir? Von mir hat sie jenes Mindestmaß an Einsicht und kennt darum auch so wenig Kummer. Ich will ein Lügner heißen, wenn die Menschen nicht bei zunehmendem Alter, sobald sie durch Erfahrung und Zucht männliche Einsicht gewinnen, alsbald die Blüte der Jugend einbüßen, ihr Feuer verlieren, statt Anmut Kälte und statt Frische Lahmheit zeigen. Je mehr der Mensch sich von mir entfernt, um so mehr schwindet seine Lebenskraft, bis schließlich das beschwerliche Greisenalter kommt, das nicht nur anderen, sondern sogar sich selbst zur Last fällt. Dieses selbst wiederum würde keinem Menschen erträglich sein, wenn ich nicht in solch jammervollem Elend meine Hilfe leihen würde.
Wie die Götter bei den Dichtern den Gefährdeten in irgendeiner Vermummung beistehen, so rufe auch ich die Menschen hart am Tode nach Möglichkeit noch einmal zur Kindheit zurück. So nennt man diese ja mit gutem Recht allgemein „kindisch". Wenn jemand das Rezept zu solcher Verwandlung wünscht, will ich es keineswegs geheimhalten. Ich führe ihn zum Quell unserer Vergessenheit, die auf den Inseln der Glückseligen entspringt, in die Unterwelt aber nur mehr als dünnes Bächlein gelangt. Wenn er dort einmal langes Vergessen getrunken hat, wird der Kummer der Seele bald abgespült sein, und die Jugend beginnt aufs neue. Die Menge spricht in solchen Fällen von Blödheit und Verdummung. Sei es drum! Darin liegt ja gerade die Verjüngung. Ist Jungsein denn etwas anderes als Unbesonnenheit und Unvernunft? Schätzt man nicht gerade den Mangel an Verstand am meisten an jenem Alter? Haßt und verabscheut nicht jeder ein frühreifes Kind wie eine Mißgeburt? Das Sprichwort „Ein Knabe, früh von Weisheit voll, ist uns verhaßt" stimmt uns darin bei. Wer könnte es aber im geschäftlichen Verkehr bei einem Greise aushaken, der sich bei solcher Lebenserfahrung gleiche Geistesfrische und Urteilsschärfe bewahrt hätte? Daß er seine geistige Klarheit verliert, verdankt der Greis uns. Dafür enthebt ihn seine Blödheit aber jener elenden Sorgen, denen der weise Mann ausgeliefert ist. Trotzdem ist er kein witzloser Zechbruder und spürt den Lebensüberdruß nicht, den das reife Alter kaum verwindet. Wenn er gescheit ist, kommt der Tiefunglückliche manchmal mit dem Greis des Plautus auf jene drei Buchstaben (a, m, o) zurück. Ich mache ihn glücklich und beliebt bei den Fremden und sorge, daß er kein unbequemer Zeitgenosse wird.
Bei Homer fließt die Rede aus dem Munde Nestors süßer als Honig, wogegen die Worte Achills voll Bitterkeit sind. Bei dem gleichen Dichter sitzen die Greise auf der Mauer (Trojas) und führen anmutige Gespräche. Darin sind sie sogar der Kindheit voraus, die bei aller Köstlichkeit doch wortlos bleibt und den vorzüglichsten Reiz des Lebens, die Geschwätzigkeit, nicht kennt. Hinzu kommt ja, daß alte Leute an Kindern ihre besondere Freude haben und die Kinder sich ! wieder zu den Alten hingezogen fühlen, „wie immer", nach dem Worte Homers, „der Gott gleich zu gleich | gesellt". Welcher Unterschied besteht auch zwischen ihnen, als daß die einen mehr Runzeln und ein höheres Lebensalter haben? Sonst passen sie doch zusammen mit ihrem hellen Haar, ihrem zahnlosen Mund, ihrer körperlichen Kleinheit, dem Verlangen nach Milch, ihrem Lallen, ihrer Schwatzsucht, Läppischkeit, Vergeßlichkeit und Unbedachtsamkeit, kurz, in allem übrigen. Je mehr sie sich dem Greisenalter nähern, um so mehr kommen sie auf die Kindheit zurück, bis sie wie die Kinder aus dem Leben gehen, ohne Lebensüberdruß und ohne Todesfurcht.
Wer will, mag nun meine Gnade mit der Verwandlungskraft aller anderen Götter vergleichen. Was die im Zorn anrichten, mag unerwähnt bleiben. Denen sie am meisten wohlwollen, die verwandeln sie gewöhnlich in einen Baum, einen Vogel, eine Grille oder sogar in eine Schlange. Als ob die Verwandlung nicht gleichbedeutend wäre mit dem Tod! Die gleichen Menschen schenke ich unter den besten und glücklichsten Auspizien dem Leben wieder. Wenn sich die Menschen von der Berührung mit der Weisheit ganz fernhielten und ihr Leben nur mit mir verbrächten, gäbe es gar kein Greisenalter, und sie genössen das Glück einer ewigen Jugend. Seht ihr denn nicht, wie sie sich mit Leichenbittermiene der Philosophie oder anderen ernsthaften und anspruchsvollen Aufgaben verschreiben und schon Greise werden, bevor sie noch recht angefangen haben, jung zu sein. Allerlei Sorgen und stete heftige Gedankenarbeit haben ihnen allmählich die geistige Kraft und den Lebenssaft ausgesaugt. Dagegen glänzt meine Narrenherde vor Körperfülle und Glätte der Haut, richtige akarnanische Schweine, wie man so sagt, und sie spüren keine Last des Alters, wenn sie nicht gerade, wie es bisweilen vorkommt, im Verkehr mit weisen Leuten Schaden litten. Ein vollkommenes Glück gibt es nun einmal nicht im menschlichen Leben. Aufs beste bezeugt das ja jenes landläufige Sprichwort, wonach die Torheit zugleich die sonst recht flüchtige Jugend erhält und das lästige Alter in die Ferne rückt. Von den Bewohnern Brabants sagt man ja treffend im Volksmund, sie würden um so törichter, je näher sie dem Greisenalter kämen, während doch sonst den Menschen das Alter Weisheit bringt. Es gibt kein anderes Volk, das im täglichen Leben frohsinniger oder weniger anfällig für den Trübsinn des Alters wäre als gerade sie. Nach Siedlung und Lebensart sind meine Holländer ihre Nachbarn. Warum soll ich sie nicht „meine" nennen, wo sie mir so eifrig dienen, daß sie sich damit öffentlich einen Spottnamen verdient haben? Das kränkt sie nicht im geringsten; denn sie tun sich sogar etwas darauf zugute. Laßt die erzdummen Menschen nur eine Medea, Kirke, Venus, Aurora und ich weiß nicht welchen Quell für ihre Verjüngung suchen, die ich allein doch nur zu gewähren vermag und pflege. Ich besitze jenen wunderwirkenden Saft, mit dem die Tochter des Memnon die Jugend ihres Großvaters Tithon verlängerte. Ich bin die Venus, deren Gunst dem Phaon neue Jugendkraft verlieh, so daß Sappho sich unsterblich in ihn verliebte. Mein sind die Krauter, wenn es überhaupt solche gibt, mein die Beschwörungsformeln und mein der Quell, der nicht allein die entschwundene Jugend wiederbringt, sondern, was noch wünschenswerter ist, sie verewigt. Wenn ihr mit mir die Jugend für das beste, das Alter für das abscheulichste haltet, seht ihr wohl ein, was ihr mir verdankt, der ich ein solches Gut verlängere und solches Übel von euch fernhalte.
Doch was rede ich immerzu von Menschen? Schaut euch den ganzen Himmel an, und dann mag jeder nach Belieben auf mich losschimpfen, wenn er irgendeine halbwegs erträgliche und annehmbare Gottheit auftreibt, die ihren Charme nicht von mir hat. Warum wird denn Bacchus immer als „Jüngling im lockigen Haar" dargestellt? Doch nur, weil er verrückt und berauscht sein ganzes Leben mit Gelagen, Tänzen, Reigen und Schäkerei verbringt und zu Pallas nicht die geringsten Beziehungen hat! Weisheit liegt ihm so fern, daß er sich vorzüglich mit Scherz und Kurzweil verehren läßt. Das Sprichwort, das ihm den Beinamen eines Weissagers gibt, nämlich eines „übertörichten Morychos", faßt er gar nicht als Beleidigung auf. Den Namen Morychos hat man ihm angehängt, weil die ausgelassenen Bauern ihn, der vor den Toren des Tempels saß, mit Most und frischen Feigen beschmierten. Wieviel Sticheleien hat nicht die alte Komödie auf ihn losgelassen? „Du blöder Gott", heißt es da, „du bist tatsächlich wert, aus der Scham geboren zu werden." Wer möchte nicht lieber albern und ungeschliffen sein, dafür aber immer frohgemut, jugendfrisch und aufgelegt zu Schäkerei und Vergnügen als so ein arglistiger und allen fürchterlicher Jupiter oder ein Pan, der mit seiner Unrast und seinem ältlichen Griesgram alles versauert, oder ein rußiger, vom Werkstatt- und Arbeitsschmutz starrender Vulkan oder gar eine Pallas selbst, schreckhaft mit ihrer Gorgo und ihrer Lanze und immer finster blickend? Doch nur weil er ein neckischer Bursche ist, sinnt und macht der Knabe Cupido nichts anderes als Unfug. Warum steht die Gestalt der goldenen Venus in ewiger Blüte? Nur weil sie mit mir verschwägert ist! Ihr Gesicht spiegelt meinen Vater wider, weshalb sie bei Homer die goldene Aphrodite heißt, und sie lächelt immer, wenn wir den Dichtern und deren Rivalen, den Bildhauern, glauben dürfen. Welche Gottheit verehrten die Römer je inniger als Flora, die Spenderin aller Lust? Wenn nun einer bei Homer und den anderen Dichtern aufmerksam das Leben der gravitätischen Götter durchforscht, wird er auch alles voll Torheit finden. Warum soll man die Taten der anderen aufzählen, wo ihr die Liebeleien des blitzgewaltigen Jupiters selbst sehr wohl kennt? Ihr wißt, wie die ernsthafte Männerfeindin Diana, die nur die Jagd kennen wollte, sich auf einmal sterblich in Endymion verliebte.




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