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Erasmus von Rotterdam

Lob der Torheit (16)

Wundert euch nur nicht, wenn ich anscheinend witzele; denn auch unter den Theologen gibt es gebildetere Menschen, die einen Widerwillen empfinden bei diesen ihrer Meinung nach ehrfurchtslosen Spiegelfechtereien. Manche verfluchen es wie Gottesschändung und betrachten es als groben Mangel an Frömmigkeit, über solch geheimnisvolle Gegenstände, die mehr Verehrung als Erforschung verdienen, mit ungewaschenem Maul herzufahren und dabei mit den weltlichen Spitzfindigkeiten der Heiden zu disputieren, anmaßende Begriffsbestimmung zu formulieren und das Ansehen der göttlichen Theologie mit widerlichem Wortschwall und hohlen Phrasen zu beschmutzen.
Jedenfalls gefallen sie sich selbst in der Wonne dieses Glücks und geben sich Tag und Nacht so ausschließlich mit den ergötzlichen Zaubersprüchen ab, daß für die Beschäftigung mit dem Evangelium oder den Paulusbriefen kein Augenblick übrigbleibt. Mit solch schülerhaftem Unfug glauben sie die ganze Kirche vor dem sicheren Untergang zu bewahren und meinen sie mit den Flötentönen ihrer Syllogismen zu stützen, wie Atlas bei den Dichtern den Himmel hält. Welch ein Glück muß das sein, wenn sie geheimnisvolle Buchstaben wie Wachs nach Gutdünken bilden und umbilden, wenn sie ihre Schlüsse, denen etwa schon einige Gildenbrüder beigepflichtet haben, an bindender Kraft über die Gesetze Solons und vielleicht gar über die päpstlichen Dekrete gestellt wissen wollen, wenn sie wie die berufenen Sittenrichter der Welt zum Widerruf zwingen, sofern irgendwo keine volle Übereinstimmung mit ihren peinlichen Schlußfolgerungen vorliegt. Mit orakelhafter Gebärde verkündigen sie: „Dieser Vordersatz ist ärgerniserregend, dieser ohne gebührende Ehrfurcht, dieser riecht nach Ketzerei, dieser hat einen bedenklichen Klang." Weder die Taufe noch das Evangelium, noch Paulus oder Petrus, noch selbst der heilige Hieronymus oder Augustinus, noch selbst der Meisteraristoteliker Thomas machen den Christen, wenn die Baccalaurei nicht ihre Zustimmung gegeben haben. So unvergleichlich ist die Genauigkeit ihres Urteils. Wer hätte nämlich annehmen können, ein rechter Christ dürfe die beiden Ausdrücke „Geschirr, du stinkst" und „Das Geschirr stinkt" wie auch „Dem Topf wird es heiß" und „Der Topf wird heiß" nicht für gleichwertig halten, wenn jene Weisen es nicht gelehrt hätten.
Wer hätte die Kirche aus solcher Finsternis des Irrtums erlöst, von der niemals jemand nur hätte lesen können, wenn jene sie nicht unter gewichtigen Siegeln überliefert hätten. Sind sie etwa nicht im Vollgefühl des Glücks bei derartigem Treiben? Wenn sie etwa die Verhältnisse in der Unterwelt so haargenau schildern, als ob sie mehrere Jahre in jener Umgebung zugebracht hätten? Wenn sie nach Gutdünken neue Welten erfinden und schließlich jene unendlich schöne Welt hinzufügen, damit die seligen Seelen behaglich lustwandeln, schmausen und Ball spielen können. Ihre Köpfe sind mit Tausenden dieser Nichtigkeiten gespickt, daß ich glauben möchte, Zeus' Hirn sei nicht so schwanger gewesen, als er bei der Geburt der Pallas den Vulkan um sein Beil bat. Wundert euch daher auch nicht, wenn ihr ihre Häupter bei öffentlichen Disputationen so gewichtig mit Binden umwunden seht. Sie würden sonst zweifellos platzen.
Ich muß bisweilen sogar darüber lachen, daß sie sich am meisten in ihrer Theologenrolle gefallen, wenn sie möglichst abgeschmackte Reden führen, wenn sie ein Gestammel vollführen, das nur ein Stammler versteht. Als Scharfsinn bezeichnen sie, was die Menge nicht begreift. Sie behaupten nämlich, es sei der Würde der heiligen Wissenschaft unangemessen, sie unter das Joch sprachlicher Gesetze zu zwingen. In einem merkwürdigen Verhältnis zur Würde der Theologen steht das Vorrecht der Lüge. Allerdings haben sie dieses Vorrecht mit gewöhnlichen Schuhflickern gemeinsam. Sie fühlen sich auf der Gottheit Höhen, sooft man sie ehrerbietig „Unser Meister" anredet, und glauben sich in dieser Anrede gleichgestellt mit dem unaussprechlichen Namen, den die Juden mit vier Buchstaben bezeichnen. Darum verlangen sie auch, daß der Titel „Magister noster" („Unser Meister") nur mit großen Buchstaben geschrieben wird. Braucht einer den Titel „Unser Meister" unehrerbietig, hat er gleich das Ansehen der ganzen Theologie geschädigt.
Ihr Glück teilen jene, die sich gemeinhin Religiösen und Mönche nennen. Die Namen sind allerdings grundfalsch, da die meisten unter ihnen von Religion gar nichts an sich haben und kaum einer so sehr Gesellschaft sucht. Ich könnte mir keine jämmerlichere Lage denken, wenn ich ihnen nicht nach Kräften unter die Arme griffe. Alle Welt verwünscht sie und sucht sogar einer zufälligen Begegnung abergläubisch auszuweichen. Trotzdem erheben sie sich selbst in den Himmel. Zunächst halten sie es für den Inbegriff frommen Wandels, die Bildung bis zur Unkenntnis des Lesens zu vernachlässigen. Wenn sie dann ihre Psalmen, genau abgezählt, aber ohne Verständnis, mit eselhaftem Stimmaufwand in der Kirche herunterleiern, meinen sie das Ohr der Gottheit mit reicher Lust zu umschmeicheln. Manche sind darunter, die Schmutz und Bettelhaftigkeit großspurig zur Schau stellen, an den Türen mit wehleidigem Gewinsel um Brot betteln, aber in keiner Kneipe oder Postkutsche, in keinem Fährboot fehlen und auf die anderen Bettelbrüder mit höchster Verachtung herabsehen. So halten die possierlichen Kerle uns mit Schmutz, Unwissenheit, Tölpelhaftigkeit und Unverschämtheit nach ihrer Meinung ein apostolisches Leben vor Augen.
Das Köstlichste an ihnen ist aber, daß sie alles genau nach Vorschrift tun, als ob sie mathematische Formeln zu Gebote hätten. Jede Mißachtung der Vorschrift betrachten sie als Sünde, und man achtet ängstlich darauf, wieviel Knoten die Sandale haben muß, welche Farbe jede Einzelheit haben muß, welche Unterschiede die Kleidung aufzuweisen hat, aus welchem Stoff und wie breit der Gürtel sein muß, wie die Form und der Scheffelinhalt der Kutte sein muß, wieviel Daumen die Tonsur breit sein und wieviel Stunden man schlafen muß. Jeder sieht aber doch die notwendige Ungleichartigkeit, der die erstrebte Gleichförmigkeit infolge der körperlichen und geistigen Verschiedenheit ausgesetzt ist. Trotzdem verachten sie um dieser Lächerlichkeiten willen nicht nur die anderen Stände, sondern machen auch einander das Leben sauer, und so sehr sie apostolische Liebe gelobt haben, so heillose Verwirrungen richten sie an, weil ein Gewand anders gegürtet und die Farbe ein wenig zu rötlich geraten ist.
Man trifft darunter so peinliche Beobachter der Regel, die nach außen hin ein rauhes Kilikiergewand zeigen, das sie mit Milesierstoff weich gefüttert haben. Andere tragen linnene Kleidung, die mit Wolle gefüttert ist. Die Berührung des Geldes scheuen sie wie Gift, meiden aber keineswegs den Wein und den Umgang mit Frauen. Sie entwickeln einen auffallenden Eifer in der Erschwerung ihrer Lebensweise. Sie suchen weniger die Übereinstimmung mit Christus als die Unterscheidung voneinander. Daher tun sie sich viel auf ihre Ordensnamen zugute; da lassen sich manche mit Behagen Strickträger nennen, und darunter heißen wieder einige Coleter, andere Minoriten, wieder andere Minimiten, Knopfträger, Benediktiner, Bernardiner, Brigidenser, Augustiner, Wilhelmiten und Jakobiten. Die meisten pflegen ihre besonderen Zeremonien und ihr besonderes Menschenwerk an Überlieferungen so ängstlich, daß ein einziger Himmel unmöglich so viel Verdienst würdig belohnen kann. Sie denken gar nicht daran, daß Christus alles andere geringschätzt und die Beachtung seines Gebotes verlangt, der Liebe nämlich. Hier ist einer stolz auf seine vielfältige Fischkost, dort schüttet einer hundert Scheffel Psalmen aus. Ein anderer zählt Tausende von Fasttagen auf und hat fast ebensooft seine Gesundheit mit der Völlerei einer einzigen Mahlzeit aufs Spiel gesetzt. Wieder ein anderer weist einen Haufen Zeremonien vor, den kaum sieben Lastkähne befördern könnten. Da rühmt sich einer, in sechzig Jahren Geld höchstens mit doppelten Handschuhen angefaßt zu haben. Ein anderer prahlt mit einer Kutte, die jedem beliebigen Matrosen zu grob und schmutzig wäre. Dort rühmt sich einer, mehr als elf Lustren regungslos wie ein Schwamm an der gleichen Stelle gelebt zu haben. Mit unaufhörlichem Singsang führt ein anderer seine rauhe Stimme vor. Hier ist einer, der sich als Eremit eine Lethargie oder mit strengem Stillschweigen eine Zungenlähmung zugezogen haben will.




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